Schüler rekonstruieren Deportationen in Heppenheim

Schüler des Starkenburg-Gymnasiums rekonstruieren den letzten Weg deportierter Juden. Sie beleuchten die Ereignisse des 18. März 1942 und erinnern an das Schicksal der Betroffenen.

Gerade einmal 10 Jahre war das jüngste Kind, das am 18. März 1942 aus Heppenheim deportiert wurde. Es war eines der 17 Juden, die Heppenheim zunächst in Richtung Darmstadt verlassen mussten. Später folgte noch weit Schlimmeres. Um das nicht zu vergessen, hat ein Geschichtskurs des Starkenburg-Gymnasiums zu einer Holocaust-Gedenkstunde diesen letzten, dramatischen Weg der Heppenheimer Juden nachgezeichnet.

Oftmals ist es nur Theorie und die Geschichtslehrbücher der Oberstufenschüler geben nur begrenzt Auskunft. „Da steht dann, dass die Juden deportiert wurden“, sagt Geschichtslehrerin Anna Wenner. Doch wie das konkret aussah, auch vor Ort in der eigenen Heimat, dazu gibt es oft nur wenig Informationen. Deshalb hatte Wenner mit ihrem Geschichtsgrundkurs der zwölften Klasse im vergangenen Sommer eine Zeitzeugenaktion gestartet.

Es melden sich keine Zeitzeugen beim Aufruf

Gemeinsam mit dem Stadtarchiv und dem Museum suchten die Schüler nach Zeitzeugen, die etwas zu den Deportationen in der Kreisstadt erzählen könnten. Doch trotz mehrfacher Aufrufe, auch über diese Redaktion, meldete sich niemand, wie Wenner und ihr Kurs bedauern.

Dennoch haben die Schüler des Kurses sich mit dem beschäftigt, was sie finden konnten und haben für die jährliche Holocaust-Gedenkstunde des Starkenburg-Gymnasiums den Deportationsweg rekonstruiert. Gemeinsam mit Wenner und Kollegin Susanne Dörsam, ebenfalls Geschichtslehrerin, organisierten sie dann die Stunde am Montagmorgen. Traditionell kommen dazu die zehnten Klassen sowie Kurse aus der Oberstufe.

Die Schüler des Kurses berichteten dann abwechselnd von den Ereignissen des 18. März sowie der Zeit danach. Es waren bedrückende Bilder, die die Schüler beschrieben. Die Betroffenen wurden damals nicht informiert. Innerhalb von drei Stunden mussten sie ihren Koffer packen, ihr Vermögen bis auf den Ehering und eine Uhr an das Reich überschreiben und alle Schlüssel in Schränke und Türen stecken. Der Wohnungsschlüssel musste an die Gestapo (Geheime Staatspolizei) abgegeben werden. Die Menschen wurden von eben auf gleich aus ihrem Leben gerissen.

Auch wenn die genauen Pläne nicht bekannt waren, so gab es Geschichten, Gerüchte. Es war eine Zeit der Angst und Ungewissheit, wie die Schüler – alle in schwarz gekleidet – darstellten. Manche Menschen zogen aufgrund der Gerüchte den Freitod vor, andere schrieben bereits Abschiedsbriefe.

Von Darmstadt mit dem Zug nach Polen

Wie genau die Deportation ablief, ist nicht ganz klar. Hierzu gibt es verschiedene Angaben, berichten die Schüler. Sicher ist jedoch, dass die Heppenheimer in die Darmstädter Liebigschule in ein Sammellager gebracht wurden. Ihr Gepäck wurde gefilzt und geplündert. „Man nahm uns das Letzte rücksichtslos ab“, zitieren die Schüler einen der Juden.

Von Darmstadt aus ging es dann einige Tage später mit dem Zug „DA 14“ nach Polen. Als der Zug sein Ende erreichte, mussten die Männer, Frauen und Kinder noch etwa 15 Kilometer zu Fuß nach Piaski laufen. Im dortigen Ghetto erlebten die Heppenheimer und alle, die mit ihnen deportiert wurden, dann unmenschliche Verhältnisse. So gab es nur wenig zu essen und auch nur einen Brunnen für rund 6000 Menschen. Medizinische Versorgung scheiterte größtenteils an den fehlenden Materialien.

Wie viele eurer Mitschüler würden fehlen?

Danach wird es etwas undurchsichtiger. Die Vermutung: Viele der Heppenheimer Juden wurden bei der Deportation am 22. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor gebracht. Dort wurden die Menschen nach ihrer Arbeitsfähigkeit selektiert. Waren diese nicht fähig zu arbeiten, wurden sie direkt vergast.

Nicht nur die Schüler des Geschichtskurses riefen am Ende ihres Vortrags dazu auf, heute ebenfalls aufmerksam zu sein. Auch Schulleiterin Katja Eicke richtete sich an die anwesenden Schüler. „Mitschüler fehlten plötzlich, Spielkameraden kamen nicht mehr auf die Straße“, beschrieb Eicke bildlich, wie es in Heppenheim nach den Deportationen weiter ging. Nicht nur ihr Fehlen sei schlimm gewesen, heute wäre es noch schlimmer über das Geschehene zu schweigen. Es seien aber auch heutzutage noch Ungeheuerlichkeiten in der Welt und „leider auch bei uns noch aktuell“.

Eicke versuchte die Schüler für die Bedeutung von Deportation zu sensibilisieren, auch in Bezug auf die heutige Zeit. „Wie viele eurer Mitschüler würden fehlen? Wie viele aus Heppenheim?“