– Zwangsarbeit, überzogen mit Schmutz und Gewalt

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„Ich teile […] mit, dass im Tonwerk furchtbare Dinge passieren […].“ – Dies berichtet der jüdische Zwangsarbeiter Berthold Löb über die Umstände im Tonwerk Heppenheim.

Seit 1933 nehmen die Nationalsozialisten vielen Juden ihre reguläre Arbeit, sodass diese auf Fürsorgezahlungen angewiesen sind. Unter dem Vorwand, sich einige staatliche Zahlungen sparen zu können, wird 1938 der geschlossene Arbeitseinsatz von 50.000 Juden beschlossen, was 1939 in eine Arbeitspflicht für alle Juden mündet. Diese Arbeitspflicht wird in Heppenheim unter anderem durch Arbeit im Tonwerk durchgesetzt. Dort sind, neben weiteren Gefangenen und regulären Arbeitern, 68 jüdische Zwangsarbeiter verpflichtet, die insbesondere aus eroberten Gebieten in oder nahe der Sowjetunion stammen. Das Tonwerk Heppenheim ist während des Krieges das größte hessische Dachziegelwerk, wo ungefähr 14.000.000 Ziegel pro Jahr hergestellt werden.

Gemäß des Konzepts Vernichtung durch Arbeit werden Menschen bei möglichst wenig Nahrung und anderweitiger Versorgung zum Arbeitseinsatz gezwungen, sodass nur geringe Kosten entstehen. Die Betroffenen werden schließlich durch Ernährungsmangel und Erschöpfung ermordet. Somit ziehen die Nationalsozialisten selbst aus dem Tod von Zwangsarbeitern einen Nutzen. Nicht zuletzt ist das NS-Regime aber auch abhängig von dieser Zwangsarbeit. Ohne sie wäre die Wirtschaft nach 1939 vermutlich zusammengebrochen, da ‚deutsche‘Männer in den Krieg ziehen, und damit anderweitig keine Arbeit leisten können.

Das Tonwerk wird als altmodischer Betrieb beschrieben, die Arbeitsbedingungen als „sehr hart“. Die Belegschaft besteht schließlich zu 80-90% aus Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, deren Arbeitszeit meist 12 Stunden umfasst. Die Arbeiter werden von ihren Vorgesetzten oft körperlich und verbal misshandelt. Besonders schlecht ergeht es den jüdischen Arbeitern; sie werden von Anfang an von anderen Arbeitern abgesondert. „Ich bin […] mit der Hand ins Gesicht geschlagen worden, das ist nicht der einzige Fall, indem [man] gegen mich tätlich wurde. [Man] hat mich außerdem […] am Hals gewürgt. Es war an der Tagesordnung, dass es hieß: ‚Ihr könnt verrecken‘“, berichtet Berthold Löb.

Überraschenderweise bekommen die Juden ein Gehalt. Dieses beträgt allerdings nur 0,53 Reichsmark, was um einiges weniger ist als das der „arischen“ Arbeiter. Die 0,53 Reichsmark entsprechen zur heutigen Zeit gerade einmal 0,14 Euro. Dies würde in einem Monat mit vielen Überstunden (11 Stunden am Tag, 5 Tage die Woche) nur ca. 30,80 Euro Lohn ergeben und dies reicht kaum zum Leben, geschweige denn, um eine Familie zu versorgen.

Nach 1945 erhalten die Zwangsarbeiter leider nicht den Frieden, der ihnen zusteht, da sie als Opfer zweiter Klasse gesehen werden. Auch in ihrer Heimat behandelt man sie nahezu wie Kollaborateure wegen ihres erzwungenen Dienstes für das NS-Regime.

In der letzten Kriegsphase werden Büroeinrichtungen und Fabrikationsanlagen des Tonwerks beschädigt. Wenige Tage vor Einmarsch der Amerikaner im März 1945 wird es den Ostarbeitern und Kriegsgefangenen von der Werksleitung freigestellt, das Werk zu verlassen. Bei Ankunft der Amerikaner halten sich noch 22 Arbeiter im Werk auf. Firmeninhabern, Betriebsleitern und Meistern wird nach Kriegsende vorgeworfen, insbesondere ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene misshandelt zu haben. Es kommt zu Spruchkammerverfahren. Im Mai 1948 wird das Tonwerk durch einen Großbrand zerstört, bevor in den 50er Jahren sowohl Wiederaufbau des Werks als auch Wiederaufnahme der Produktion erfolgen. In Anbetracht der verfügbaren Ausgangsrohstoffe vor Ort wird der wirtschaftliche Ertrag des Werks in den 1960er Jahren in Frage gestellt. 1970 erfolgen Einstellung der Produktion und Stilllegung des Werks. Ab 1992 wird das Gebäude der ehemaligen Ziegelei abgerissen und es entsteht das Wohngebiet der Nordweststadt.

Seit 2018 erinnert eine Gedenkstätte an Heppenheimer Zwangsarbeiter; auch an Jene aus anderen Werken in Heppenheim, in welchen Zwangsarbeit zur Zeit des Nationalsozialismus stattfindet.

(Text von Christian Deppisch und Sebastian Nack, beide Abitur 2023.)

Mit Unterstützung des Museums und Stadtarchivs Heppenheim sowie des Fördervereins des Starkenburg-Gymnasiums.