KZ-Außenlager „Paprika“ – Gärtnern in Ketten
Im Mai 1942 entsteht das Außenlager Heppenheim, das zunächst dem KZ Dachau und ab Sommer 1943 dem KZ Natzweiler-Struthof unterstellt ist. Nutznießer ist die 1939 gegründete „Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung“ (DVA). Dieser SS-Wirtschaftsbetrieb mit angegliedertem Lehr- und Forschungsinstitut verfolgt das Ziel, die Produktion, den Vertrieb und die wissenschaftliche Erforschung von Heil- und Gewürzkräutern im Sinne einer naturheilkundlich ausgerichteten „Volksmedizin] zu betreiben – einerseits im Rahmen einer „Erbgesundheitspolitik“, andererseits um die Volksgesundheit im Krieg sicherzustellen.
Das Heppenheimer Außenlager liegt in der Nähe des Bahnhofs in einer ehemaligen Steinschleiferei. Heute befindet sich auf dem Gelände in der Lilienthalstraße ein Holzgroßhandel. Bis zu 60 Häftlinge sind zwischen 1942 und 1945 in einer Baracke interniert. Die meisten von ihnen sind politisch Gefangene osteuropäischer Herkunft, darunter auch Jugendliche. Die Häftlinge werden sowohl in der Gärtnerei und bei Züchtungsversuchen am südlichen Ende Heppenheims, nahe des Geländes der heutigen „Odenwald Quelle GmbH“, als auch in der „TROKOFA“ (Trockenkonservenfabrik), die sich direkt auf dem Lagergelände befindet, zur Arbeit gezwungen. Im stillgelegten Steinwerk Reichenbach entsteht außerdem eine Trocknungsanlage. Von ihrer Baracke aus marschieren die Häftlinge in typischer Lagerkleidung zu ihrer jeweiligen Arbeitsstätte, um in einer 12-stündigen Wechselschicht täglich zu arbeiten. Überwacht werden sie von frontuntauglichen Soldaten sowie einem SS-Scharführer.
In den Gärten werden Gemüse, Obst und Kräuter, aber auch Paprika angebaut. Daher erhält das Lager im Volksmund den Namen „Paprika“. In der TROKOFA erfolgt die Weiterverarbeitung zu Trockenprodukten, die der Versorgung der deutschen Soldaten und der eigenen Bevölkerung zugutekommen. Darüber hinaus dient die TROKOFA auch zur Erforschung von ideologisch umworbenen Heilkräutern, die künstliche Medikamente und vermeintlich gesundheitsschädigende fremde Gewürze ersetzen sollen.
Die Überlebensbedingungen der Häftlinge sind trotz Nässe und Kälte in der Fabrik insgesamt besser als in anderen Lagern. Die Häftlinge können sich sogar recht gesund und ausreichend ernähren, da z. B. Lebensmittel vor oder nach der Trocknung in die Häftlingsküche geschleust werden – natürlich illegal. Auch die Nähe zur Stadt und zur Bevölkerung, ärztliche Versorgung und ausreichende Hygiene in Form von Waschräumen erlauben ein vergleichsweise erträgliches Leben.
Um die Widerstandskraft der Häftlinge zu brechen, wird mit der Versetzung in ein anderes Lager gedroht. Menschenrechtsverletzungen sind also gegeben, wenn auch nicht durch gewaltsame Tötungen oder Prügelstrafen.
So seien Korruption und Machtmissbrauch seitens des Lagerleiters Brombacher keine Seltenheit gewesen. Ein Häftling sagt aus, dass Brombacher im Namen der Gefangenen gebettelt, die erwirtschafteten Waren dann aber selbst mit seiner Familie verbraucht habe.
Wenige Tage vor Einmarsch der Amerikaner in Heppenheim am 27. März 1945 wird das Lager geräumt. Die verbliebenen Häftlinge werden streng bewacht zum KZ Schwäbisch Hall geführt. Während die jüdischen Häftlinge zum Außenlager München-Riem gebracht und dort vergast werden, transportiert man die anderen Gefangenen ins KZ Dachau weiter. Die Amerikaner befreien die meisten von ihnen im April und Mai.
Nach dem Krieg werden Forderungen laut, die Gärtnerei und die Trockenanlagen schnellstmöglich wieder in Betrieb zu nehmen, was aufgrund von unterschiedlichen Besitzverhältnissen nicht mehr effektiv möglich ist.
2018 wird dem Denkmal für Zwangsarbeiter auf dem ehemaligen Tonwerksgelände eine dritte Tafel hinzugefügt, die auf das KZ-Außenlager hinweist. Nachdem das Lager lange Zeit ein Tabu-Thema gewesen ist, erfolgt mittlerweile durch diverse Projekte und Veröffentlichungen eine Aufarbeitung des Themas.
(Text von David Frey, Emilia Marocco und Toni Silbermann, alle Abitur 2023.)
Mit Unterstützung des Museums und Stadtarchivs Heppenheim sowie des Fördervereins des Starkenburg-Gymnasiums. |