Neue Synagoge

– ein Opfer des Novemberpogroms

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Am steilen Hang des Schlossbergs, genauer gesagt an der Ecke Bensheimer Weg/ Starkenburgweg erinnert heute nur noch eine Gedenktafel an die Heppenheimer Synagoge, die zwischen 1900 und 1938 inmitten des Gartens oberhalb der Mauer an der Gedenkstätte stand.

Nachdem die Alte Synagoge in der Kleinen Bach 3 für die wachsende jüdische Gemeinde zu klein geworden ist, wird ein Neubau beschlossen. Dieser wird von den aus Heppenheim stammenden Brüdern Adolph, Heinrich und Leopold Hirsch finanziert, die Mitte der 1880er Jahre nach London ausgewandert und dort als Inhaber eines Bankhauses zu beträchtlichem Vermögen gelangt sind.

In den Jahren 1899-1900 wird die Neue Synagoge nach den Plänen des Architekten Heinrich Metzendorf im Landhausstil erbaut. Dieser Stil ist nicht nur typisch für Metzendorf, sondern orientiert sich an regionalen Traditionen und sieht die Verwendung lokaler Baumaterialien vor. Auf diese Weise wird eine große Heimatverbundenheit symbolisiert – die Gebrüder Hirsch entscheiden sich also keineswegs zufällig für Metzendorf!

Das Gebäude von 20 Metern Länge, 10 Metern Breite und 17 Metern Höhe besteht aus rotem und hellgelbem Sandstein aus der Umgebung und ist nach jüdischer Auffassung nach Osten ausgerichtet. Ein sechseckiger Davidstern schmückt die Giebelspitze. Das Dach ist mit schwarz gefärbten Tonziegeln gedeckt. Eine Freitreppe führt zu einem arkadenartigen, offenen Vorbau. Von dort aus gelangt man nicht nur in den Hauptraum, sondern auch in den Treppenturm. Dieses markante Kennzeichen der Synagoge führt zur Frauenempore im ersten Stock.

Die Synagoge bietet 180 Gläubigen Platz – 80 Frauen und 100 Männern. Der cremefarben gestrichene Betraum hat eine gewölbte und verputzte Decke. Ein im Gang liegender Läufer trennt die beiden Pultreihen und reicht vor bis zur halbrunden Apsis mit einem eingebauten Schrein für die Thorarollen. Insgesamt ist die Inneneinrichtung eher bescheiden. Die buntverglasten Fenster an den Seiten des Hauptraumes lassen gedämpftes Licht in den Saal; die Synagoge verfügt aber auch über elektronische Beleuchtung und Warmluftheizung.

Am 10. Oktober 1900 wird der Neubau eingeweiht. In einem feierlichen Zug werden die Thorarollen von der Alten Synagoge zur neuen gebracht, bevor die neunjährige Martha Hirsch dem damaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Wilhelm Mainzer, den Schlüssel überreicht. Die Häuser, auch die der christlichen Anwohner, sind mit Fahnen geschmückt, Adolph und Leopold Hirsch sind extra aus London angereist und abends finden Festlichkeiten im Halben Mond und im Goldenen Anker statt.

Die gesamte Bevölkerung nimmt Anteil an der Einweihung des Gotteshauses und zu diesem Zeitpunkt geht sicherlich niemand davon aus, dass das neue Gebäude nur 38 Jahre bestehen wird.

Während des Novemberpogroms wird die Synagoge am Morgen des 10. November 1938 von SA-Männern angezündet, die massiven Mauern werden gesprengt, bevor die jüdischen Männer dazu gezwungen werden, die stehengebliebenen Gebäudeteile abzutragen. Die Nationalsozialisten wollen jede Erinnerung an jüdisches Leben auslöschen!

Laut Stiftungsvertrag soll die Synagoge nach 50 Jahren in den Besitz der jüdischen Gemeinde Heppenheims übergehen. Diese Bestimmung wird nicht erfüllt; im März 1943 wird der letzte Heppenheimer Jude deportiert.

Auf dem Grundstück ist heute ein Rest des südöstlichen Stützpfeilers der Synagoge zu sehen und unter der Erde befinden sich noch Teile der Grundmauern und des gefliesten Bodens der Apsis. 2016 wird das Gelände an die neu gegründete Bürgerstiftung Heppenheims übertragen, die das Areal langfristig in eine Begegnungs- und Erinnerungsstätte umgestalten wird.

Möchte man sich dennoch ein umfassendes Bild von der Heppenheimer Synagoge machen, lohnt sich eine Reise ins norwegische Oslo. Die dortige Synagoge wird, unter Rückgriff auf die Pläne Metzendorfs, 1920 errichtet. Sie ist zwar größer und ‚nur‘ aus Beton, aber dennoch ein Abbild des Heppenheimer Gotteshauses. Die Synagoge in Oslo entgeht der Zerstörung, da die deutschen Besatzer sie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs als Depot von Kultgegenständen nutzen.

(Text von Zahar Habibzai und Leonie Kolb.)

Mit Unterstützung des Museums und Stadtarchivs Heppenheim sowie des Fördervereins des Starkenburg-Gymnasiums.