– zwischen Integration und Diskriminierung
Um 1900 erreicht das jüdische Leben in Heppenheim seinen Höhepunkt. Die jüdische Gemeinde vergrößert sich zunehmend, es wird eine neue Synagoge errichtet und die jüdischen Familien sind (gut) in die Heppenheimer Gesellschaft integriert. Viele Juden sind Mitglieder in zahlreichen Vereinen und Organisationen, wie in der freiwilligen Feuerwehr oder im Turnverein, üben Ehrenämter im Bereich ihrer Religion aus und haben Freunde jüdischen und nichtjüdischen Glaubens. Bis auf einige Ausnahmen sind die Heppenheimer jüdischen Familien wohl situiert und besitzen gut eingerichtete Häuser, wie Familie Bach, oder sogar Villen, wie Familie Meyer. Wie auch die nicht jüdischen Familien, haben sie meist mehrere Kinder, von denen viele die örtliche Großherzogliche Oberrealschule besuchen.
Mit der Machtergreifung der NSDAP 1933 ändert sich schlagartig auch für die Heppenheimer jüdischen Familien der Lebensalltag. Immer offener zeigt sich der Antisemitismus, zum Teil in gesteuerten Aktionen, wie dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, aber auch in spontanen Ausbrüchen, als z. B. Jugendliche Juden auf der Straße mit Steinen bewerfen und sie als „Judenschwein“ beschimpfen.
Juden verlieren zunehmend ihre Berufe und müssen ihre zuvor erfolgreich geführten Geschäfte verkaufen, so auch das Kaufhaus Bach in der Friedrichstraße 34. Juden gelten als „Nichtarier“ und dürfen kein Hab und Gut besitzen. Ihre Geschäfte sollen nun von „arischen“ Bürgern übernommen werden, daher sind Annoncen in der Lokalzeitung Verordnungs- und Anzeigenblatt, wie „Wiedereröffnung nach Übernahme durch arische Inhaber wird noch bekannt gegeben“, keine Seltenheit. Auch das Kaufhaus Mainzer muss 1938 verkauft werden.
Seit 1935 drängt das NS-Regime die Juden dazu, auszuwandern. Viele von ihnen flüchten ins Ausland, u.a. in die USA, wie Familie Goldblum, die Niederlande, wie die Familien Baruch und Meyer oder nach Südafrika, wie die Geschwister Gerda und Kurt Bach. Nach der Reichspogromnacht werden die jüdischen Männer gezwungen, die Reste der abgebrannten Synagoge Heppenheims, in der sie all die Jahre ihre Religion ausgeübt hatten, einzuebnen. 1942 beginnen die Nationalsozialisten damit, die Heppenheimer Juden zu deportieren und als Arbeitskräfte auszubeuten. „Abgemeldet nach unbekannt“ wird im Meldebuch vermerkt. Weder Zeitpunkt noch Ziel der Deportation sind bekannt. Es wird berichtet, dass man am 18. März 1942 gegen Mittag u.a. Selma Hirsch mit ihrer Tochter Erna die Amtsgasse hinauf zum Marktplatz gehen gesehen habe. Dort habe ein Omnibus gestanden. Die Mutter habe einen großen Sack, eventuell mit Bettzeug, getragen und ihre Tochter zwei Koffer. Im März 1943 wird mit Albert Marx der letzte Heppenheimer Jude deportiert. Als Ehepartner einer evangelischen Frau hat er sein Schicksal etwas herauszögern können.
Ein typisches Beispiel für den Werdegang der Heppenheimer Juden ist die Familie Friedmann. Sie ist zunächst gut in die Gesellschaft integriert. Nathan Friedmann, der Vater der Familie, ist Religionslehrer an der Großherzoglichen Oberrealschule, welche heute als Starkenburg-Gymnasium bekannt ist. Er ist engagierter Gottesdienstleiter in der Heppenheimer Synagoge. Seine drei Söhne besuchen die Oberrealschule und sind Mitglieder im Fußballverein FC Starkenburgia. Sie spielen sogar in der Ersten Mannschaft. Nach 1933 ist Nathan der Einzige der Familie, der noch in Heppenheim lebt. Sohn Walter darf seinen Beruf als Opernsänger und Schauspieler nicht länger ausüben und geht zunächst in die Schweiz. Auch Sohn Hugo und seine Familie verlassen Deutschland 1938. Sohn Ludwig, der als leitender Angestellter bei einer Frankfurter Schuhfabrik gearbeitet hat, geht nach Montevideo. 1938 muss Nathan sein Haus in der Lorscher Str. 3 verkaufen und kommt in ein jüdisches Altersheim in Frankfurt. 1940 verstirbt er an einer Krankheit. Anders als die Mehrheit der Juden, ist Nathan also nicht im Konzentrationslager umgekommen, sondern eines natürlichen Todes gestorben.
(Text von Annika Heinze, Emma Kuczera und Fabio Wiesenbach, alle Abitur 2023.)
Mit Unterstützung des Museums und Stadtarchivs Heppenheim sowie des Fördervereins des Starkenburg-Gymnasiums. |