Rassismus wird oft mit großen, schrecklichen und tödlichen Taten in Verbindung gebracht, wie etwa dem rassistische Anschlag in Hanau bei dem 2020 neun Menschen getötet wurden. Doch es sind auch die vermeintlich kleinen Dinge, Hänseleien auf dem Schulhof oder blöde Sprüche, die Betroffene verletzen und ausgrenzen und den Rassismus „salonfähig“ machen. Ein Ethikkurs des Starkenburg-Gymnasiums hat sich nun intensiv mit dem Thema beschäftigt und versucht, seine Mitschüler aus Heppenheim für das Thema zu sensibilisieren.
Als Referendarin Melda Sapancilar im Ethikunterricht auf das Thema „Rassismus“ zu sprechen kommt, haben die Schüler sich auch darüber unterhalten, was sie selbst tun können. Daraus ist eine ganze Menge entstanden. Die Klasse hat seit mehreren Wochen einen rund einstündigen und interaktiven Vortrag für ihre Mitschüler vorbereitet: #saytheirnames & #tellyourstory – Hanau war kein Einzelfall. Dafür haben sie nicht nur Schüler der neunten und zehnten Jahrgangsstufe befragt, sondern sogar zwei eigene Beispiele mitgebracht.
„Ich bin kein Rassist, ich mag nur keine Ausländer.“ Dieses Zitat sollen die Zuhörer ihrem Urheber zuordnen. Es könnte aus der Politik stammen, so die Vermutung aus dem Publikum am Mittwoch. Doch die Wahrheit sieht anders aus. „Ich habe das in der sechsten Klasse gesagt, weil ich sauer auf jemanden war“, erklärt der vortragende Schüler. Erst später war er sich der Bedeutung und Wirkung vollkommen bewusst. „Sprache ist gefährlich. Es ist die schärfste Waffe, die der Mensch besitzt“, findet er heute.
Eine Schülerin dagegen erzählt aus der anderen Perspektive. Sie ist Opfer von Rassismus geworden. Einmal habe sie einen Vortrag im Unterricht gehalten und die Lehrerin habe kritisiert, dass sie zu leise und undeutlich spreche. Die Kritik nimmt sie an, sieht sie als gerechtfertigt. „Aber es ging darüber hinaus“, sagt sie. Die Lehrerin sagte ihr, sie würde so leise reden, „weil meine Eltern mich unterdrücken“. Sie müsse sich entscheiden und den deutschen oder den islamischen Weg wählen. Während die heutige Neuntklässlerin geschockt war und versuchte, sich zu verteidigen, unternahm die Klasse nichts. Erst später habe der Klassensprecher etwas gesagt, aber „das war zu spät, sie hatte alles gesagt, was sie sagen wollte“. „Meine Eltern wollten dann etwas dagegen machen, aber ich wollte nicht, dass es noch schlimmer wird“, sagt sie vor den Mitschülern im Gymnasium. Im Anschluss an den Vortrag zeigt sich Schulleiterin Katja Eicke bestürzt über den Vorfall und entschuldigt sich dafür, was der Neuntklässlerin widerfahren ist. Die Lehrkraft ist mittlerweile nicht mehr am Gymnasium beschäftigt.
Es ist nicht die einzige negative Erfahrung, die Schüler aus der neunten oder zehnten Klasse bereits in der Schule, aber auch außerhalb, gemacht haben. Bei der Umfrage gab es Rückmeldungen, dass sehr oft das N-Wort genannt werde, vermutlich ohne den Hintergrund zu kennen. Auch Sprüche wie „Ich dachte, du verstehst das nicht“ oder „Geh’ in dein Land zurück“ haben Schüler bereits hören müssen.
Um sich über rassistische Erfahrungen auszutauschen, wird nun am Raum 1.025 ein Briefkasten aufgehängt, in den Schüler ihre Erfahrungen aus dem Schul- aber auch Privatleben teilen können. Wer möchte, kann anonym bleiben, wer aber Kontakt aufnehmen will, kann dies ebenfalls tun. Betreut wird die „Meldestelle für rassistische Vorfälle“ von den Anti-Rassismusbeauftragten der Schule. 14 Schüler des Ethikkurses lassen sich dazu gerade ausbilden. „Wir hoffen, es meldet sich jemand, wenn wirklich etwas ist“, sagt Sapancilar.
Schulleiterin Eicke bittet ebenfalls, von Vorfällen zu berichten, nur so könne man darauf aufmerksam werden. „Wir unterstützen das sehr“, sagt sie zum neuen Briefkasten. Denn die Schulleiterin ist sich dessen bewusst, dass sie nicht immer die beste Ansprechpartnerin für Schüler ist. „Ich glaube, es ist angenehmer, mit Gleichaltrigen zu reden“, gibt auch Sapancilar zu bedenken.
Christiane Wüstner, Mitglied der Schulleitung, und Eicke sind dankbar für die Arbeit und den Vortrag der Schüler. Schon länger gehört das Heppenheimer Gymnasium zum bundesweiten Netzwerk „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“. Doch eigentlich müsse es sogar „Schule gegen Rassismus“ heißen, so Wüstner.