Heppenheimer Schüler tauchen in Geschichten ein

Fünfte Stunde, Raum 1031 im ersten Stock des Starkenburg-Gymnasiums. Die Reihen füllen sich schnell, aber diszipliniert mit Zehntklässlern. Tina Klippel, Lehrerin für Deutsch und evangelische Religion, nimmt ihren Platz vor dem Whiteboard ein, sagt einige Sätze zur Biografie und zum Werk des Autors, schlägt das Buch auf, beginnt mit dem Vorlesen. Sie hat sich für Erich Maria Remarque entschieden, für dessen Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“, in dem sich die Hauptfigur, die nur drei Jahre älter ist als die vor ihr sitzenden Schülerinnen und Schüler, mit den Schrecken des Ersten Weltkriegs auseinandersetzt.

Sechste Stunde, einige Meter weiter, Musikraum zwei. Die Reihen füllen sich eher unkoordiniert, die vorderen Reihen gar nicht, weil „die Stühle hinten viel bequemer sind“, wie eine Sechstklässlerin verkündet. Es geht ein bisschen hin und her, ein, zwei Dutzend Nachzügler lassen sich auf die „unbequemen“ Stühle fallen, Irene Menninger kann loslegen. Die frühere Inhaberin der Buchhandlung Mai hat sich für „Feuerwanzen lügen nicht“ von Stefanie Höfler entschieden, nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023. Eine aufwühlende Geschichte, in der es um Armut, Scham und Ungerechtigkeit geht. Und der die jungen so wie die älteren Schüler aufmerksam folgen. Die sonst unvermeidlichen Handys bleiben in den Taschen. Bei den meisten jedenfalls.

Es ist bundesweiter Vorlesetag – nach einer Unterbrechung wegen Corona auch wieder am Starkenburg-Gymnasium. Barbara Simons, Fachbereichsleiterin I, und Corinna Müller, Bibliothekarin der Schule, haben das „größte Vorlesefest Deutschlands“, eine Initiative der Wochenzeitung Die Zeit, der Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung, vorbereitet. So soll vor allem Begeisterung für das Lesen und Vorlesen geweckt werden, und mit 35 verschiedenen Vorleseangeboten sollte das im Starkenburg-Gymnasium gelungen sein. Der erste Vorlesetag war 2004, aus den anfangs knapp 2000 Beteiligten sind mittlerweile rund 800.000 in ganz Deutschland geworden.

Vom Start in der ersten bis zum Ende nach der sechsten Stunde wurde den Schülerinnen und Schülern am Freitag in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek ein breites literarisches Angebot unterbreitet, von publikumsträchtigen Romanen wie Cornelia Funkes „Drachenreiter“ über Süßkinds „Parfum“ bis hin zu Tolkiens „Hobbit“, aber auch viele weniger bekannte Werke wie Karl Olsbergs „Das Dorf“, Kiera Cass’ „Siren“ oder Nele Pollatscheks „Kleine Probleme“ standen auf dem Programm.

Die Vorleserinnen und -leser kamen aus, aber auch von außerhalb der Schule, und auch in diesem Jahr ließen es sich prominentere Lesebegeisterte nicht nehmen, ihren Teil beizutragen. Landrat Christian Engelhardt, so wie Bürgermeister Rainer Burelbach Vater einer schulpflichtigen Tochter, hatte sich für Felicitas Hoppes „Iwein Löwenritter“ entschieden, Burelbach für Juli Zehs „Der war’s“, und Christine Bender, Erste Stadträtin Heppenheims, stellte ihrem Publikum Ali Elphinstones „Die vier verborgenen Reiche“ vor.

Zum Zug kamen in diesem Jahr aber auch wieder die, denen einfach nur zuhören zu wenig war und die gleich noch ihre Fremdsprachenkenntnisse überprüfen wollten: Elisabeth Acevedos „The Poet X“ oder Saint-Exupérys „Le Petit Prince“ beispielsweise konnte man auch auf Englisch beziehungsweise Französisch verfolgen.

(C) Echo-Online 20.11.2023