„Was ist eigentlich Demokratie?“, lautet das Thema einer Diskussionsrunde am Starkenburg-Gymnasium. Rainer Burelbach kommt zwar gut weg, muss aber auch Missstände einräumen.
„Nein!“ Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) schüttelt vehement den Kopf. „Es war eigentlich nie mein Ansinnen, in die Politik zu gehen. Vor knapp zwölf Jahren war ich noch Leiter des Jobcenters Neue Wege. Als die CDU mich fragte, ob ich als Bürgermeister kandidieren möchte, habe ich erst einmal länger überlegen müssen“, antwortet er auf die Frage von Alicia Heß.
Die junge Heppenheimerin besucht die 13. Jahrgangsstufe des Starkenburg-Gymnasiums, im nächsten Jahr will sie in der Kreisstadt ihr Abitur machen. Gemeinsam mit rund 30 weiteren angehenden Abiturienten aus den Politikkursen des Abschlussjahrgangs fühlt sie am Donnerstagvormittag dem Stadtoberhaupt in der Aula des Gymnasiums auf den Zahn.
„Was ist eigentlich Demokratie?“, lautet das Motto der eineinhalb Fragestunden, die von Alicias Stufenkameraden Nils Lerch und Dominik Weigold moderiert werden, im Rahmen der Festwoche der Demokratie stattfinden und von den städtischen Mitarbeiterinnen Luisa Wipplinger (Museum) und Katrin Rehbein (Stadtarchiv) sowie Oberstufenleiter Marc Federmeyer initiiert wurden.
Erklärtes Ziel der Organisatoren war es im Vorfeld, die Schülerinnen und Schüler in das Programm der städtischen Festwoche anlässlich des 175. Jahrestages der „Heppenheimer Versammlung“ von 1847 einzubinden und zugleich das Demokratieverständnis der jungen Mitbürger zu schärfen. Und dieses Ziel wurde auch erreicht, sind sich Federmeyer, Wipplinger und Rehbein im Nachgang einig.
Dies liegt zum einen an den Abiturienten, die den Bürgermeister mit so mancher Frage ins Schwitzen bringen, aber auch an Burelbach, der sich aus Sicht der Schüler durchaus achtbar aus der Affäre zieht – und zu guter Letzt mit anerkennendem Applaus verabschiedet wird.
Schüler und Bürgermeister spannen dabei einen beachtlichen thematischen Bogen: Der Gesprächsfaden führt von der besagten Heppenheimer Versammlung über eine Standortbestimmung der deutschen Demokratie bis hin zur politischen Partizipation in der Kreisstadt, die Burelbach als „Wiege der deutschen Demokratie“ bezeichnet. Auch die Themen, die die hiesige Kommunalpolitik aktuell beschäftigen, kommen nicht zu kurz. Das vielerorts gewünschte Wahlrecht ab 16 Jahren kommt während der 90 Minuten fortan ebenso zur Sprache wie die direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild oder die kommunale Jugendpolitik.
Burelbach selbst eröffnet die Diskussion mit einer Demokratie-Definition, die er unlängst auch schon im Interview mit dieser Zeitung gewählt hatte: „Demokratie ist dann, wenn die herrschende Obrigkeit ohne Blutvergießen gestürzt wird.“ Nicht eine Wahl sei demokratisch, sondern „eben die Tatsache, dass der oder die Abgewählte auch wirklich weggeht“. Er wehrt sich in diesem Kontext auch – zuweilen bewusst provozierend – dagegen, Länder wie Italien, Polen oder Ungarn aufgrund ihres Wahlverhaltens zu verurteilen. „Aus Deutschland heißt es oft, dort sei verkehrt gewählt worden. Aber was bilden wir uns eigentlich ein, auf diese Weise über andere zu urteilen?“, stellt er in den Raum. „Wir sollten auf uns schauen und verstärkt darauf achten, dass die Bürger unsere eigene Demokratie besser verstehen“, merkt er an. Denn dies ist aus seiner Sicht das größte Problem mit Blick auf das politische System der Bundesrepublik. Über die eigenen Möglichkeiten der Teilhabe, beispielsweise bei Bauangelegenheiten, wüsste in der Regel nur eine kleine Minderheit Bescheid.
„Weniger Ministerien, weniger Gesetze, weniger Vorschriften, weniger Mitarbeiter in den Verwaltungen und eine Vereinfachung des Wahlrechts“, lautet dann auch seine Antwort auf die Frage: „Was würden Sie denn konkret an unserer Demokratie ändern?“. Beim Wahlrecht sei das Alter mitnichten entscheidend, so Burelbach. Viel wichtiger sei die Transparenz, die aufgrund der deutschen Bürokratie aber viel zu oft auf der Strecke bleibe. Den Bürgern sei es kaum zu erklären, warum im badischen Laudenbach anders gewählt werde als im nur wenige Kilometer entfernten Heppenheim. Und mit Blick auf die Zusammensetzung der zuweilen aufgeblähten Parlamente spricht er gar von einer „abgehobenen Akademiker-Demokratie“. Ein fast schon ungläubiges Staunen ist in diesem Moment in den Gesichtern der Schüler zu erkennen.
Deutlich kleinteiliger, dafür aber mit mehr Bürgernähe gehe es in der Kommunalpolitik zu. „Große Politik ist das nicht“, weiß Burelbach. Doch zählt er sämtliche Punkte auf, mit denen sich Verwaltung und Stadtparlament regelmäßig auseinandersetzen – von A wie Abwasser bis W wie Wohnungsbau. Deren Verwirklichung hänge freilich immer von den Finanzen ab, die er als Schlüssel für eine erfolgreiche Kommunalpolitik betrachtet. Und er kommt letztlich zu dem Schluss: „Genau dieser Mix macht Kommunalpolitik so spannend.“
Allerdings räumt er auch ein, dass gerade die Gruppe seiner Gesprächspartner aktuell mitunter zu kurz komme. „Hier gibt‘s nicht wirklich viel für unsere Generation“, kritisiert abermals Alicia Heß. „Das ist in der Tat eine große Baustelle“, räumt Burelbach ein. Die städtischen Hoffnungen ruhten diesbezüglich auf dem einstigen Ziegenzuchtgelände, einer Freifläche am Jochimsee und dem früheren Vogelpark, sagt der Bürgermeister. Ob das für die Bedürfnisse der Jugend wirklich ausreicht, bleibt abzuwarten. Dennoch geht man mit einem guten Gefühl auseinander. „Geht in die Politik, engagiert euch. Schon kleine Dinge machen Politik und Demokratie konkret“, lautet Burelbachs abschließender Appell an die Schüler.
(c) Echo-Online 14.10.22