Familie Mainzer

Kaufhaus Mainzer – Bekleidung, Ausstattung und Wohnungseinrichtung unter einem Dach

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Seit 1907 ist es aus dem Heppenheimer Stadtbild nicht mehr wegzudenken: das ehemalige Kaufhaus Mainzer. Heute bekannt als Neues Stadthaus, das die Musikschule, die städtische Touristeninfo, das Bürgerbüro und Teile der Stadtverwaltung beherbergt, ist das historische, denkmal-geschützte Gebäude nicht nur ein „Paradebeispiel der Reformarchitektur an der Bergstraße“, sondern auch ein Abbild von Handel und Gewerbe einer bedeutenden jüdischen Familie in Heppenheim.

Familie Mainzer

1861 gründet die Familie Jacob und Krinle Mainzer ein Manufakturwarengeschäft in einem Zimmer ihres Wohnhauses in der Wilhelmstraße 10 (heute Nr. 7). Sohn Wilhelm übernimmt 1865 die Leitung des elterlichen Geschäfts und wird fünf Jahre später dessen Inhaber. Zu diesem Zeitpunkt heiratet Wilhelm Babette Götz, die Tochter eines Bensheimer Kaufmanns. Aus der Ehe gehen neun Kinder hervor.

Die Gewerbefreiheit erlaubt der jüdischen Familie eine Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten. So wird zunächst ein Ladenlokal mit Schaufenster errichtet, bevor 1891 das Haus zu einem Geschäftshaus umgebaut wird, was eine Ausweitung des Warenangebots ermöglicht. Es entsteht in Heppenheim eines der ersten Ladengeschäfte mit Schaufenster, das industriell gefertigte Qualitäts- und Massenware verkauft.

Dank des wirtschaftlichen Erfolgs erwirbt die Familie 1902 ein weiteres Haus in der Wilhelmstraße 3, sodass das Haus in der Nr. 10 nur noch als Geschäftshaus verwendet werden kann.

Werden zunächst nur Stoffe, Hemden, Bettzeug, Tischdecken, Taschentücher und ,,Gesundheitsunterkleider“ verkauft, erweitert sich das Angebot ab Ende des 19. Jahrhunderts bereits um eine Wäscheabteilung, eine Abteilung für Damen- und Herrenkonfektion und eine Maßschneiderei.  1906 übergibt Wilhelm Mainzer das Geschäft an seine beiden Söhne Jacob und Berthold.

Das Angebot des Geschäftshauses richtet sich an Käufer unterschiedlicher sozialer Schichten. Daher werden nicht nur Kunden aus Heppenheim, sondern auch aus dem Umkreis angezogen.  Jacob und Berthold Mainzer wollen ihr Geschäft in Bezug auf Inneneinrichtung und die Eigenproduktion von Möbeln und Kleidung ausdehnen, wozu ein Neubau nötig wird.

Aufbau des Kaufhauses in der Friedrichstraße

1905 wird der Architekt Heinrich Metzendorf mit dem Bau des neuen Kaufhauses beauftragt, jedoch muss die Familie Mainzer für den Bau hohe Kredite aufnehmen und große Investitionen tätigen. Metzendorf entwirft ein multifunktionales Gebäude mit modernen Schaufenstern und hellen großen Räumen bestehend aus Kaufhaus, Produktionsstätte und Wohnhaus. Dadurch kann das Geschäft ein noch viel breiteres Sortiment anbieten. Die alten Gebäude in der Wilhelmstraße werden weiterhin als Möbelwerkstatt und Lager genutzt.

Am 23. November 1907 wird das neue Geschäftshaus der ,,Firma Wilhelm Mainzer“ in der Friedrichstraße 19-21 in Heppenheim eröffnet. Mit der Dimension, die das Kaufhaus angenommen hat, kann es sich mit anderen städtischen Kaufhäusern messen, die zu der Zeit entstanden sind.

1924 wird die Firma „Wilhelm Mainzer“ zwischen Jacob und Berthold aufgeteilt und von beiden Brüdern jeweils eigenständig weitergeführt.

Einfluss der Nationalsozialisten auf das Geschäft

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bringt gravierende Veränderungen für die Familie Mainzer mit sich. Sie wird zunehmend judenfeindlichen Repressalien ausgesetzt. Die Umsätze in den Geschäften beider Brüder gehen stark zurück, sodass sich Jacob 1935 gezwungen sieht, sein Möbelgeschäft an einen ehemaligen Lehrling zu verkaufen, bevor die Firma 1938 endgültig aufgelöst wird.

Berthold leistet länger Widerstand als sein Bruder. Da auch sein Geschäft durch den Boykott vom 1. April 1933, durch judenfeindliche Übergriffe, durch wirtschaftliche Repressalien sowie eine antisemitische Finanzpolitik und Enteignungen zunehmend Verluste macht, baut er 1936 seine Verkaufsräume in Mietwohnungen um. Die Heppenheimer Behörden zwingen ihn wenig später, auf seine internationalen Patente für Kleidungsstücke zu verzichten. So darf auch die in Heppenheim hergestellte elastische „Bema-Herrenhose“ nicht länger ins Ausland exportiert werden. Die antijüdische Wirtschafts- und Finanzpolitik ruiniert seine Firma endgültig und so wird sie noch vor der Reichspogromnacht an einen Kantinenwirt aus Landau verkauft. Von dem Verkaufspreis des Kaufhauses erhält die jüdische Familie nichts. In der Reichspogromnacht werden Geschäft und Wohnungen geplündert und verwüstet. Am 15. Mai 1940 erzwingt das Heppenheimer Finanzamt die finale Schließung der Firma Berthold Mainzers.

Insgesamt lebt und arbeitet die Familie Mainzer 140 Jahre lang in Heppenheim. Der Nationalsozialismus kostet vier Mitgliedern der Familie, auch Jacob und Berthold, das Leben und der restliche Teil der Familie wird zur Auswanderung gezwungen. Eine angemessene Entschädigung für all diese Ungerechtigkeiten erhält die Familie nicht.

(Text von Frida Häberle und Claudia Ifada, beide Abitur 2023)

Mit Unterstützung des Museums und Stadtarchivs Heppenheim sowie des Fördervereins des Starkenburg-Gymnasiums.