Einstige Lehrer machen Heppenheimer Schulgeschichte erlebbar

 „Für diese Ausstellung können wir nichts“, scherzt Norbert Krauth, als er gemeinsam mit seinem früheren Kollegen Horst Ober den Marstall des Heppenheimer Amtshofs betritt, wo seit etwas mehr als einer Woche die aktuelle Sonderausstellung des Stadtmuseums „Starkenburg-Gymnasium – Schule im Wandel“ anlässlich des 140-jährigen Bestehens der Schule zu sehen ist. In der Tat wurde die Schau mitsamt der dazugehörigen Begleitbroschüre vorrangig von Schülerinnen und Schülern sowie den beiden Lehrerinnen Tonja Seiffert und Anna Wenner gestaltet. Und hierfür gibt es von Krauth und Ober dann auch ein großes Lob.

Gleichwohl wären wohl weder die Ausstellung noch die Begleitbroschüre ohne die jahrelange Vorarbeit der beiden pensionierten Lehrer des Starkenburg-Gymnasiums (SGH) zustande gekommen. Gemeinsam mit den einstigen Kollegen Karl-Heinz Kaffenberger, der seine Mitarbeit zuletzt aus gesundheitlichen Gründen jedoch einstellen musste, und Illustrator Erich Henrich, haben der 72 Jahre alte Krauth und der 82 Jahre alte Ober über einen Zeitraum von zehn Jahren die Geschichte der Schule erforscht und ihre Erkenntnisse schließlich in einem mehr als 350-seitigen Werk zusammengetragen.

„Normalerweise entstehen Chroniken zu Jubiläen. In unserem Fall war es eher andersherum.“

Wie die Jubiläums-Ausstellung im Marstall trägt auch die neue Schulchronik den Titel „Schule im Wandel“. Allerdings betont Norbert Krauth: „Normalerweise entstehen Chroniken zu Jubiläen. In unserem Fall war es eher andersherum.“ Will heißen: Die Idee zur Chronik kam den vier Pädagogen im Ruhestand schon vor über zehn Jahren. Unabhängig von den diesjährigen Feierlichkeiten und frei von jeglichem Druck machte man sich ans Werk. Man habe dabei auch nicht unbedingt die Absicht gehabt, die zusammengetragenen Recherchen in Buchform zu veröffentlichen, betonen Krauth und Ober unisono. Gleichwohl wusste die aktuelle Schulleitung um Katja Eicke und Bettina Reinhardt natürlich über die wissenschaftliche Arbeit der einstigen Kollegen Bescheid – die Fertigstellung passte letztlich perfekt in den Zeitplan der Schule.

Frühere Chronik erfüllte nicht die eigenen Erwartungen

Doch wie kamen die Pensionäre überhaupt auf die Idee einer Chronik in Eigenregie? „Wir haben inzwischen deutlich mehr Zeit“, scherzt Horst Ober, der nach fast 40 Jahren am SGH im Jahr 2005 von Kollegium und Schülern feierlich verabschiedet wurde. Und der einstige Fachmann für Latein und Geschichte, Norbert Krauth, fügt im Gespräch mit dieser Zeitung hinzu: „Wir wollten mit unserer Arbeit in gewisser Weise auch etwas wiedergutmachen.“ Damit spielt er auf eine Chronik zum 125-jährigen Schuljubiläum im Jahr 2007 an, die er seinerzeit mit Karl-Heinz Kaffenberger erstellt hatte. „Quasi auf den letzten Drücker, unter Zeitdruck und letztlich nicht ganz so, wie wir es uns gewünscht hätten.“

Beim neuerlichen Versuch sei die Herangehensweise eine ganz andere gewesen, so Krauth. Und auch das Endprodukt – in welcher Form auch immer – sollte sich von Beginn an von den gewöhnlichen Chroniken absetzen. „Schule ist immer Ausdruck von politischen und sozialen Entwicklungen“, merkt Krauth an. Ziel sei es deshalb gewesen, die Entwicklung „von der höheren Bürgerschule zur modernen Medienschule“ (so heißt es auf dem Flyer zur Ausstellung) beziehungsweise die vergangenen 140 Jahre in einen zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen. Das Kaiserreich, die beiden Weltkriege, aber auch die Zeit der „außerparlamentarischen Opposition“ und der „wilden 68er“ sowie der Weg zur deutschen Einheit und zuletzt auch die Corona-Pandemie werden in der Chronik berücksichtigt – stets dem Ziel folgend, „Geschichte erlebbar zu machen“ (Norbert Krauth).

Besonders am Herzen lagen dem Historiker Norbert Krauth und dem Fachmann für Sozial- und Gemeinschaftskunde, Horst Ober, das Kapitel „Unsere Schule in nationalsozialistischer Zeit“. Fast 20 Seiten umfasst dieses Kapitel, wie viel Zeit dafür tatsächlich investiert wurde, lässt sich freilich nicht an der Seitenzahl messen. „Die Quellenlage für die Zeit zwischen 1933 und 1945 war nämlich besonders kritisch“, erzählt Ober, dessen Aufgabe nach eigenen Angaben in erster Linie darin bestand, „sämtliche Archive zu durchforsten und zu recherchieren“. Auf Krauths Konto gehen hingegen „rund 90 Prozent der Texte“. Im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden zählte Ober letztlich ebenso zu den Stammgästen wie im Darmstädter Staatsarchiv, an der Universitäts- und Landesbibliothek in Darmstadt oder im Heppenheimer Stadtarchiv. Nahezu alle Ausgaben dieser Zeitung und ihrer Vorgänger habe er für die Arbeit an der Chronik begutachtet, führt der 82-Jährige aus.

Schulberichte aus der Nazi-Zeit sind verschwunden

Doch für die Zeit des Nationalsozialismus reichte all das kaum aus – zumal auch die schulischen Jahresberichte „komplett verschwunden sind“. Die NS-Zeitung „Der Volksgenosse“ musste deshalb als Quelle herangezogen werden, die meisten Informationen zu dieser Zeit stammen jedoch von Zeitzeugen aus Heppenheim und der näheren Umgebung. „So wurde es uns ermöglicht, ein möglichst wahrheitsgetreues Bild der damaligen Schulgeschichte zu zeichnen“, fassen Krauth und Ober im Editorial der Chronik zusammen.

Durchaus problematisch sei auch die Bildersuche gewesen, sagt das Duo. Frei zugängliche Quellen waren demnach nicht immer möglich, auch die Rechte an den Fotografien galt es stets zu beachten. Mit Rat und Tat zur Seite habe in Sachen Fotos letztlich auch die Druckerei den Autoren zur Seite gestanden, betonen Krauth und Ober.

Mit dem finalen Werk sind sie freilich zufrieden. Während Krauth und Ober selbst die Chronik durchblättern, müssen sie immer wieder schmunzeln. Auch eine gehörige Portion Stolz schwingt im Gespräch mit dieser Zeitung mit. An potenzielle Nörgler oder Kritiker gerichtet, zitiert Krauth abschließend mit großer Freude aus der Chronik zum 25-jährigen Schuljubiläum im Jahr 1907: „Wer bess’re Arbeit leisten kann, der hätt‘ sich sollen melden. Nun ist’s zu spät, drum lasse man – das Kritisier’n und Schelten.“

Ab sofort erhältlich

Die neue Schulchronik des Starkenburg-Gymnasiums ist ab sofort unter anderem während der Öffnungszeiten des Stadtmuseums am Eingang zum Marstall sowie in der Tourist-Information im Stadthaus in der Fußgängerzone zum Preis von 17 Euro erhältlich. (fran)

(c) Echo-Online 24.11.2022